Sabine Grubers 2011 erschienener Roman fängt mit einer Szene an, die ein poetisches Muster des ursprünglichen Begehrens widerspiegelt. Clara, eine in Wien ansässige Literaturwissenschaftlerin, liest da im Zug nach Rom ein paar Textstellen aus dem Nachlass von Ines, einer alten Freundin aus Kindertagen. Dabei muss sie an das Leben der Freundin denken, denn Ines ist vor kurzem unerwartet und plötzlich in Rom verstorben. Clara ist unterwegs, um den Haushalt von Ines aufzulösen und ihre Sachen inklusive ihrer zahlreichen Schriften zu ordnen. Unversehens beginnt sie, eine ihr unbekannte Geschichte, das Leben der Verstorbenen, mithilfe von schriftlichen Überresten und noch lebenden Zeugen zu rekonstruieren. Das Verlorene, das einst ganz nah und vertraut zu sein schien, durch Lektüre und Recherche, und damit unvermeidlich distanziert und vermittelt, wiederherstellen zu wollen, das ist die sich verschachtelnd wiederholende poetische Tätigkeit, die einen Roman mit häufigen Perspektivenwechseln entstehen lässt. Ines, die mit Clara in dem fiktiven Südtiroler Dorf Stillbach aufgewachsen war, hat aus dem Leben einer anderen Stillbacherin, Emma, einen Roman gemacht, den Clara in ihrem Nachlass finden wird. In diesem Roman, der einen Roman im Roman enthält, handelt es sich also um die Vergegenwärtigung der nicht unproblematischen deutsch-italienisch-österreichischen Geschichte seit Anfang des 20. Jahrhunderts, in der drei Stillbacherinnen wegen der Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach ihrer Heimat Stillbach und einem Gefühl unsteter Zugehörigkeit verschiedene Wege gingen. Mein Vortrag versucht zu skizzieren, wie vielschichtig das Formenrepertoire dieses Romans, dessen Autorin auf die poetische Verarbeitung des verlorenen Ursprünglichen zielt, mit dem konkreten historischen Erzählinhalt zusammenhängt.