Von Ingeborg Bachmann, die ebenso wie Reinhard Kaiser-Mühlecker vom Land kommt und bäuerliche Vorfahren hat, sind folgende Worte überliefert: „Als der Krieg zu Ende war, ging ich fort […] und kam voll Ungeduld und Erwartung nach Wien, das unerreichbar in meiner Vorstellung gewesen war. […] Und wenn ich später auch nach Paris, London und Deutschland gekommen bin, so besagt das wenig, denn in meiner Erinnerung wird der Weg aus dem Tal nach Wien immer der längste bleiben.“ Bachmann meinte damit, dass man für seine geistig-seelische Entwicklung nicht unbedingt die Bühne der großen weiten Welt braucht.
Reinhard Kaiser-Mühlecker schlägt mit seinem Roman Fremde Seele, dunkler Wald (2016) in dieselbe Kerbe. Die Protagonisten, die Brüder Alexander und Jakob Fischer, ringen um die innere wie äußere Befreiung vom dörflichen Milieu. Die Situation der Bauernsöhne sowie diejenige des Adels in Turgenjews Roman Ein Adelsnest (1859), von dem das Motto sowie der daraus abgeleitete Titel Fremde Seele, dunkler Wald stammen, ist eine der Ausweglosigkeit und Verlorenheit. Schuld daran sind dramatische soziale Umbrüche. Ebenso umfassend ist der Einfluss der heutigen Globalisierung auf das Leben der Dorfbewohner in Oberösterreich. In meinem Vortrag will ich untersuchen, wie der existenzielle Kampf von Söhnen aus dem kleinbürgerlichen Milieu für eine bessere Zukunft dargestellt wird. Kaiser-Mühlecker arbeitet u. a. mit den Mitteln der akribischen Landschaftsbeschreibung, des inneren Monologs und der erlebten Rede. Seine Figuren sind Verwzeifelte, verlorene Seelen, die ihr Heil ebenso beim vom „Korpsgeist“ (S. 82) bestimmten Militär suchen wie bei Sekten oder – Ultima Ratio – im Selbstmord. Fremde Seele, dunkler Wald ist kein eigentlicher Entwicklungsroman, in dem sich die Helden nach vielen Prüfungen geläutert und auf einer höheren Stufe wieder finden, sondern der Roman einer Entwicklung, die für die Überlebenden damit endet, dass sie ihre Balance irgendwie wieder erlangen und alles weitergeht wie bisher: Die Gefahr scheint gebannt, die Überlebenden sind gezeichnet.