Wien, 1914 — nur einen Tag vor der deutschen Kriegserklärung. Während Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften das Wien ein Jahr vor dem Krieg aus enzyklopädischer Perspektive schildert, verdichtet Raphaela Edelbauer die schwärmerische Stimmung dieses Topos auf die Ereignisse eines einzigen Tages: Die Protagonist:innen, die „Inkommensurablen“, erleben dabei keinen „Urlaub vom Leben“, sondern die taumelnde Mobilmachung in ein neues Dasein. Wie in der mathematischen Bedeutung des Begriffs inkommensurabel finden die Protagonist:innen in ihrem gesellschaftlichen Leben keinen gemeinsamen Bezugspunkt. Dennoch entdecken sie in dieser Stadt der Schlafwandler den Zugang zu einer imaginären Sphäre des Lebens, in der reale Grenzen plötzlich überschritten werden können. Diese besondere Sphäre verbirgt sich jedoch auch in einer scheinbar geordneten Wissenschaft wie der Mathematik. Die Protagonistin Klara, selbst Mathematikerin, sagt über inkommensurable Zahlen: „Sie sind unendlich, manchmal transzendent und können doch von jedem Kind mit einem Dreieck gezeichnet werden.“ (S. 42) Es ist wohl die Sensibilität für das Imaginäre, die den Bereich der Schlafwandler mit dem der Mathematik verbindet. In Edelbauers Roman Die Inkommensurablen wird dieser „Möglichkeitssinn“ in einer höchst suggestiven Sprache neu entfaltet.